Freiwilligenarbeit in Ghana - Erfahrungsbericht

Meine ersten Monate als Volunteer

(von Susi, 16.12.2016)

Vor etwas mehr als zwei Monaten kam ich in Ghana an. Das erste, was mich beeindruckte war der Verkehr in Accra. Alles wirkte so chaotisch und doch funktionierte es. Jetzt ist er total normal geworden. Man gewöhnt sich sehr schnell an seine Umgebung. Das gilt auch für das Alltagsleben auf der Straße. Die „Obroni“ Rufe und aufgeregte Kinder, die einem zu winken, gehören dazu, wenn man durch die Stadt läuft. Auch die vielen kurzen Gespräche mit Verkäufern, Taxifahrern oder einfach interessierten Leuten sind Teil meines Lebens, wenn ich mein Haus verlasse. 

 Die Ghanaer haben eine große Willkommenskultur, sie fragen, ob man Ghana mag und wie lange man schon hier ist. Sie sind offener als in Deutschland und suchen eigentlich immer das Gespräch, auch wenn dies immer oberflächlich ist. Selbstverständlich kann dies auch nervig sein, an Tagen an denen man seine Ruhe haben will, dennoch ist das lebhafte  Straßenleben ein Teil Ghanas, den ich sehr mag. 

Zu diesem Straßenleben gehören ebenfalls die „open markets“, man kauft auf offener Straße ein,  auch von Verkäufern, die ihre Ware auf dem Kopf tagen und somit nie still stehen. Vor allem das Einkaufen und das Essen sind ein großer Kontrast zu Europa. Dies merkte ich besonders, als wir in Accra in einen westlichen Supermarkt gingen. Es macht mich immer noch nachdenklich, wie sehr wir uns über dieses vertraute Umfeld eines Supermarktes gefreut haben, obwohl es ausschließlich auf materialistischen Dingen beruht. Man braucht diese große Auswahl zum Leben nicht. Man wird ebenso satt, ohne eine Auswahl von 15 verschiedenen Schokoladensorten zu haben.  In solchen Momenten wird mir bewusst, wie sehr meine Identität auf Materialismus und unzähligen Auswahlmöglichkeiten in jedem Lebensbereich beruht.

Einige Bedenken hatte ich als Vegetarierin vor meiner Abreise, was das Essen betrifft… und bin sehr angenehm überrascht worden: Das Essen gefällt mir wirklich gut, auch wenn man als Vegetarier auf der Straße entweder schräg angeschaut wird, weil die Menschen nicht verstehen, warum man weder Fisch noch Fleisch isst, oder ausgelacht wird. Meine Gastfamilie gibt mir viel zu viel zu essen, da es ihr Ziel ist, dass ich dick werde. Dann heißt es für sie nämlich, dass sie sich gut um mich gekümmert haben. Desweitern ist das Schönheitsideal hier ein anderes, fett genannt zu werden ist meist ein Kompliment.

Aber ich kann auch jeden Tag beobachten, wie meine Gastfamilie sich selber zu viel Essen auf den Teller tut und es nicht aufisst sondern wegschmeißt. Für mich ist dies paradox, da meine Gasteltern selber aus einem armen Dorf kommen und somit wissen, was Hunger ist. So könnte man meinen, gerade sie würden nicht verschwenderisch mit Essen umgehen, dies ist aber nicht der Fall. Ansonsten ist das Leben in der Gastfamilie eine große Umstellung, weil man viele gewohnte Freiheiten aus Deutschland ablegen muss. Beispielsweise wenn man abends weggehen möchte, muss man seine Eltern um Erlaubnis bitten und man bekommt immer eine Uhrzeit (für unsere Verhältnisse sehr früh), zu der man zurück sein soll.

Auch die Familienhierarchie ist sehr anders. Die Kinder bringen ihren Eltern alles, und wenn sie alt genug sind, übernehmen sie sehr große Teile des Haushaltes. Außerdem hat der Mann in vielen Familien die höchste Stellung, womit ich ein Problem habe. Anderseits ist es total schön, kleine Gastgeschwister zu haben, mit denen man spielt und sich so als Teil der Familie fühlt. Zudem denke ich, dass man durch das Leben in einer Gastfamilie entscheidend mehr über die örtliche Kultur mitbekommt, im Gegensatz zu einem Volunteer WG Leben.

Neben meiner Gastfamilie ist mein Projekt der zweite Teil meines Alltags, in dem ich viel über die ghanaische Lebensweise erfahre. Das Schulsystem und die Art zu unterrichten sind selbstverständlich ganz anders, als in Deutschland. Zum einen wegen der Infrastruktur: In unseren Klassenräumen gibt es nur eine Tafel, Tische und Bänke. Strom gibt es an meiner Schule nicht, so findet Computerunterricht in der Theorie an der Tafel statt. Auch Lehrmaterialien sind rar gesät. Kopierte Arbeitsblätter, oder ein Buch für jeden Schüler gibt es nicht. Das schränkt die Unterrichtsgestaltung stark ein. Zum anderen ist die Erziehung in Ghana von Grund auf anders. Viele Lehrer verwenden einen Stock, mit dem sie die Kinder schlagen. Zwar nutzen ihn nicht alle Lehrer (an meiner Schule jedoch die große Mehrheit), das Schlagen ist dennoch ein normaler Teil der ghanaischen Erziehung. Desweitern wird den Kindern das eigenständige, kritische Denken weder in der Schule noch zu Hause beigebracht. Der Unterricht läuft sehr frontal und mit viel Auswendiglernen ab.

Das nach meinem europäischen Verständnis fehlende, kritische Denken ist auch im Zusammenhang mit Religion sehr stark sichtbar. Die Mehrheit der Ghanaer ist sehr gläubig. Das Christentum, der Islam und der traditionelle afrikanische Glaube sind die vorherrschenden Religionen, die stark praktiziert werden. Alle Christen, die ich bis jetzt getroffen habe, nehmen die Bibel wörtlich und gehen jeden Sonntag für mehrere Stunden in die Kirche. Der Glaube ist sehr stark, die Menschen hinterfragen nichts, was mit ihrer Religion zu tun hat. Für mich ist das unglaublich und ich kann dieses Verhalten nicht nachvollziehen. Oft habe ich das Gefühl, dass auch wegen der stark ausgeprägten Religion Fortschritt und Wachstum gedämpft werden. Andererseits gibt der Glaube vielen Menschen Hoffnung, dass sie egal in welcher Situation nicht allein sind und bessere Zeiten kommen werden. Dies so denke ich, darf man als Außenstehender nicht unterschätzen.

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