Freiwilligenarbeit in Ghana - Erfahrungsbericht
Ein Land zum Verlieben
(von Annika, 06.02.2020)
Singende Frauen, die dich am Flughafen auf der Toilette begrüßen? This is Ghana for you! Ein Satz, den man immer wieder hört, wenn absurde Dinge passieren oder man einfach so sehr schwitzt, dass man wie frisch geduscht aussieht. Ein anderes Wort, welches ich seit meinen drei Monaten hier in Swedru fast täglich höre ist „Welcome“. Meine Nachbarn sagen es, fremde Menschen in der Stadt und die liebe Frau mit ihrem Verkaufsstand auf dem Weg zu meiner kleinen Schule begrüßt mich so zu jeder Uhrzeit.
Jetzt ist schon die Hälfte meiner Zeit in Ghana um und der Gedanke, bald wieder in den deutschen Alltag zurück zu gehen fühlt sich komisch an. Schon seit über einem Monat fühle ich mich hier richtig Zuhause und bin so angekommen, wie ich es mir schon in Deutschland gewünscht hatte. Als der Projektleiter mich abends vom Flughafen abgeholt hat und wireman zwei Stunden von lautem Hupen und Gerufe aus dem Radio begleitet durch Schlaglöcher gefahren sind, war das Alltagsgefühl noch ganz fern.
Dann bin ich mit relativ wenigen Infos zu meiner Schule und Gastfamilie ins Gewusel gestartet, wurde aber am zweiten Tag gleich mit ans Meer genommen von anderen Freiwilligen, die mich total gut eingeführt haben.
Am dritten Tag bin ich in meine super liebe Gastfamilie gekommen, mit der ich mich immer noch wunderbar verstehe. Ich habe eine 16-jährige Gastschwester und meine Gastmutter, also sind wir eine kleine Frauenpower-Familie mit ganz tollen Nachbarn. Alle kümmern sich so lieb um mich, dass ich fast ein schlechtes Gewissen habe und dass ich Vegetarierin bin und ein paar Allergien habe, ist auch kein Problem. Das Essen ist traditionell und immer super lecker und die Schärfe lässt sich gut aushalten.
Und auch mit den Entfernungen habe ich Glück gehabt, denn in die Stadt brauche ich nur 15 Minuten mit dem Fahrrad oder Taxi, was 35 Cent kostet und meine Schule ist nur drei Minuten zu Fuß von meinem Haus entfernt. Der vierte Tag war dann der erste Schultag. In der ersten Woche durfte ich aber erstmal ein bisschen zuschauen und entscheiden, in welche Klassen ich gehen würde.
Mittlerweile war ich neben dem Assistieren und Unterrichten auch schon bei mehreren besonderen Tagen dabei. Es gab einen Schulausflug, ein Sportfest, Kochen in der Oberstufe, ein Quiz und am letzten Tag vor den Weihnachtsferien kam Father Christmas mit Sonnenbrille auf einem Pferd angeritten. Auch in den Ferien habe ich schon viel von Ghana gesehen und in meiner Organisation an Projekten teilgenommen.
Normalerweise helfe ich aber dem Englischlehrer in Klasse fünf bis acht beim Korrigieren, schreibe Dinge an die Tafel und übernehme auch mal eine Unterichtsstunde von ihm, der Kunstlehrerin oder dem Social Studies Lehrer, um Sexualkunde zu unterrichten. Von 08:00-14:30 haben die Kinder jeden Tag Schule, nur Mittwochs fängt sie später nach dem Worship, einer Art Gottesdienst, an und an einem Tag wird ein bisschen geputzt. Bevor der Unterricht beginnt, werden jeden morgen die Schul- und Nationalhymne gesungen, die Fingernägel kontrolliert und dann marschieren die Kinder im Takt, der getrommelt wird, in ihre Klassen.
Viele Namen der Schüler aus den oberen Klassen kann ich mir mittlerweile merken und mit einigen Lehrern sind kleine Freundschaften entstanden. Wenn ich mal nichts zu tun habe, kann ich auch immer zu den Kindergartenkindern gehen oder mich von Fragen der Schüler durchlöchern lassen. „Hast du deine Haut geblichen?“, „Sind das deine echten Haare?“, „Was bedeutet dein Name?“ oder „Bist du noch nie geschlagen worden?“
Das ist tatsächlich noch immer eines der schwierigeren Themen für mich. Man gewöhnt sich erschreckender Weise relativ schnell daran, dass die Lehrer immer einen Stock in der Hand haben und manchmal jemand einen kleinen Schlag abbekommt. Die Situationen, in denen jedoch Tränen fließen, weil der Schmerz so groß ist oder ein Kind von den Lehrern gedemütigt wird, möchte ich aber nie als normal ansehen. Da ich nicht weiß, wie ich damit umgehen soll, versuche ich dann, nicht hinzusehen oder den Raum zu verlassen, auch, wenn dieser Umgang sich falsch anfühlt.
Ein Lehrer hat sich auf eine lange Diskussion darüber mit mir eingelassen und auch er weiß, dass Respekt anders funktioniert, aber das ist eben ein langer Prozess und in den letzten Jahren hat sich die Situation schon stark gebessert.
Was sich ein bisschen verschlechtert hat, ist meine Mückenstichquote. In den ersten zwei Wochen habe ich keine einzige Mücke gesehen und keinen Stich bekommen, mittlerweile habe ich immer irgendwo einen, aber einigermaßen gesund bin ich trotzdem geblieben und Malaria hat es noch nicht bis zu mir geschafft.
Eine Sache, die zu Beginn auch etwas schwierig war, ist die Sprache. Englisch ist zwar die Amtssprache, aber dennoch gibt es viele, die es nicht oder nur schlecht sprechen. Die Aussprache ist nicht so wichtig und die Grammatik auch ein wenig anders als gewohnt. Trotzdem kommt man gut damit klar, auch wenn man dreimal nachfragen muss, und lernt auch immer mehr Wörter auf Twi, der Muttersprache, womit man vor den Ghanaern gut angeben kann und laut gefeiert wird.
Wie offen die Menschen hier sind merkt man oft im Taxi oder auf der Straße, wenn man Heiratsanträge oder Freundschaftsangebote bekommt. Man hört Sätze wie „Bist du reich?“, „Gib mir Geld“, „Kauf mir das“ oder „Gib mir deine Nummer“. Und ob Lehrer, Schüler oder unbekannte Menschen, jeder ruft einem „How are you?“, „Where are you going?“ oder „Obroni“ (Weiße/r) hinterher.
Außerdem wird mit Zischgeräuschen versucht, Aufmerksamkeit auf sich zu ziehen, man wird mal festgehalten oder man wird einfach kurz berührt von einem Kind. Die Leute unterhalten sich laut, von irgendwo kommt immer Musik und es wird gehupt zum Anlocken von Mitfahrern in Taxis, beim Überholen oder wenn jemand oder etwas im Weg ist.
Ein Chaos, das doch seine Ordnung hat. Man gewöhnt sich an alles. Dass man ein Auto mal zehn Zentimeter an einem vorbeifährt gehört einfach dazu. Man gewöhnt sich an Stromausfälle, daran, Wasser und Eis aus Plastiktüten zu saugen, dass die Schultoilette ein Loch im Boden ist, die Dusche aus einem Eimer besteht, man beim Essen „You’re invited“ sagt und Kakao Schokotee genannt wird. Das Schnipsen beim Händeschütteln hat sich schon zu einem Bedürfnis von mir entwickelt, genauso wie das Essen mit der rechten Hand.
Man fängt an öfter mal von seinem erfundenen Ehemann zu erzählen, beim Einkaufen vergisst man nicht mehr den Kassenbon vorm Rausgehen abstempeln zu lassen und man sammelt in all seinen Taschen Müll, den man produziert. Es stört mich nicht mehr, zwei Stunden darauf zu warten, dass das Trotro voll ist und davon eine Stunde lang einem Prediger zuzuhören. Und es ist auch kein Problem, WLAN erst wieder am Flughafen zu haben. Dass überall Menschen alles mögliche aus Schüsseln und Kühlboxen von ihren Köpfen verkaufen ist normal geworden und super praktisch, wenn man im Taxi oder Trotro Hunger oder Durst hat.
Manche Situationen lassen mich aber immer noch lachen. Aber man darf es einfach nicht hinterfragen, wenn ein Mann sieben Zeigen mit auf dem Motorrad transportiert oder auf einem Busdach ein paar Leute und Ziegen in einem Gepäckhaufen mitfahren. Dann fährt man mal an einem Auto vorbei, auf welchem ein Tisch liegt oder sieht auf einem Dach zwischen Dachrinnen eine Bank oder ein Fahrrad liegen.
An den Straßenrändern wird all das verkauft, was, zumindest meistens, nicht auf die Köpfe der Menschen passt. Sofas, Toiletten, Bettgestelle, Fenster, Eingangstore, Fliesen, Bagger, Fahrräder, Autoreifen, Hühnerställe, Säulen, Auspuffanlagen. Zwischendrin sieht man Stände, die Simkarten und Credits dafür verkaufen und unzählige Stoffläden und Schneidereien.
Swedru ist eine kleine hügelige Stadt mit einem Supermarkt, einem Markt und vielen kleinen Lädchen und Ständen an den Straßenrändern. Es gibt ein Krankenhaus und sogar ein Fitnessstudio und man fährt nur eine halbe Stunde in die nächste Stadt am Meer. Fast alle Gebäude sind in den kleineren Orten einstöckig und sieht man mal ein höheres Haus, ist es oft nur ein Rohbau, der leer steht zwischen all den Strommasten, Palmen und Stauden.
Wie grün und schön die Natur im Süden Ghanas ist, kann man sich nicht vorstellen, ohne sie selbst gesehen zu haben. Das macht die Trotrofahrten zu etwas ganz besonderem, denn man sieht die leuchtend grüne Landschaft vorbeiziehen und auch, wenn es öfter mal sehr eng und die Straße uneben ist, vergisst man das fast bei dem angenehmen Fahrtwind, der endlich das ewige Schwitzen beendet. Im Trotro braucht man sein geliebtes Schweißtuch dann höchstens als Mundschutz gegen den Staub in der Trockenzeit.
Als ich Anfang November ankam, hat es noch öfter geregnet und man merkt, wie viel heißer es jetzt ist und wie viel trockener die Luft geworden ist. Happy Harmattan! Wenn es jetzt ganz selten mal regnet und es stürmisch wird, sind alle in der Schule ganz euphorisch.
Was mich nicht immer ganz so euphorisch stimmt, ist das Waschen mit der Hand, was viel Zeit einnimmt und oft die Hände aufgescheuert, but this is Ghana for you. Genauso wie das viele Warten auf irgendwelche Menschen, aber in der Zeit kann man dann mal eine Kokosnuss trinken oder eine Orange aussaugen.
Es kann sich echt gut anfühlen, wenn man sich darauf einlässt, sich nicht mehr zu stressen, trotzdem ist es schön in einem so disziplinierten Land aufgewachsen zu sein. Was man aber in die deutschen Schulen mitnehmen könnte, ist das Singen zwischendurch im Unterricht um die Kinder zu motivieren. Auch die spontanen Tanzeinlagen der Lehrer werden mir fehlen und generell die fröhliche und laute Art der Menschen werde ich vermissen.
Ich fühle mich hier dem ursprünglichen Leben einfach näher und habe das Gefühl, weniger nachzudenken und mehr zu machen.
Eigentlich ist Ghana schon ziemlich so, wie ich es mir vorgestellt habe, nur dass man es sich nicht vorstellen kann, bevor man es nicht selbst erlebt hat. Deshalb bin ich unendlich glücklich, hier zu sein und mich immer mehr in das Land verlieben zu können.